Blei in Gebäuden: Ein unterschätzter Gebäudeschadstoff

1. Einführung: Was ist Blei und wo findet es sich in Gebäuden?
Blei (chemisches Symbol Pb) ist ein Schwermetall, das früher aufgrund seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften vielfach in der Bauindustrie eingesetzt wurde. In Gebäuden findet man Blei vor allem in folgenden Bereichen:
- Trinkwasserinstallationen: Bleirohre und Bleilötungen waren bis in die 1970er Jahre weit verbreitet.
- Lötmaterialien, Armaturen und Pumpen: In älteren Gebäuden wurden bleihaltige Legierungen für Rohrverbindungen und in Pumpen verwendet.
- Andere Bauteile (seltener heute): Historisch konnte Blei auch in Farben, Bleiblechen, Abdichtungen oder Isolierungen vorkommen.
Warum wurde Blei eingesetzt? Es ist relativ weich, gut formbar, korrosionsbeständig (unter bestimmten Bedingungen) und leicht zu verarbeiten, Eigenschaften, die es attraktiv für Rohrleitungen und Lötarbeiten machten.
2. Eigenschaften von Blei und problematische Aspekte
Physikalisch / chemisch:
- Blei ist relativ dicht, weich und relativ gut verformbar.
- Es kann Korrosion und Legierungsbildung eingehen, insbesondere in Kontakt mit anderen Metallen.
- In Kontakt mit Wasser kann Blei teilweise herausgelöst werden (Lochfraß, Abgabe von Ionen), besonders bei stagnierendem Wasser.
Problematische Eigenschaften:
- Toxizität: Blei ist giftig, es ist ein Nervengift (neurotoxisch) und Hämotoxin (beeinträchtigt die Blutbildung).
- Anreicherung im Körper: Blei kann sich im Körper ansammeln. Blei passiert unproblematisch die Blut-Hirn-Schranke, ist plazentagängig und geht in die Muttermilch über. Durch Blei verursachte Schädigungen sind chronisch. Das betrifft die Nieren, das zentrale Nervensystem, Störungen im Stoffwechsel, die Fruchtschädigung, die Fertilität und etwa die kindliche Intelligenzentwicklung. Blei lagert sich insbesondere in Knochen ab und wird dort langfristig gespeichert.
- Langzeitwirkung: Selbst niedrige Konzentrationen über längere Zeiträume können gesundheitliche Schäden verursachen, vor allem bei empfindlichen Gruppen wie Kindern, Schwangeren oder Kleinkindern.
3. Gesundheitliche Gefährdung durch Blei
Wenn Blei über das Trinkwasser aufgenommen wird, hat es mehrere Wirkungen auf den menschlichen Organismus:
- Nervensystem: Bei Ungeborenen, Säuglingen und Kleinkindern besonders besorgniserregend, da das sich entwickelnde Nervensystem sehr empfindlich ist.
- Blutbildung: Blei hemmt die Hämopoese, also die Bildung roter Blutkörperchen, was z. B. zu Anämie führen kann.
- Langfristige Speicherung: Bei Erwachsenen lagert sich Blei vor allem im Knochen ein. Im Alter oder unter bestimmten Bedingungen (z. B. Schwangerschaft) kann es wieder freigesetzt werden.
- Andere Systeme: Blei kann auch Nieren, Herz-Kreislauf-System und Reproduktionssystem beeinträchtigen, je nach Expositionsdauer und -höhe.
4. Rechtlicher Rahmen in Deutschland
Trinkwasser-Gesetzgebung
- Die Trinkwasserverordnung (TrinkwV) regelt Grenzwerte für Blei im Trinkwasser.
- Seit dem 01. Dezember 2013 gilt ein Grenzwert von 0,010 mg/l (10 μg/l) für Blei im Trinkwasser.
- Eine weitere Verschärfung ist für den 12. Januar 2028 vorgesehen: Dann soll der Grenzwert auf 0,005 mg/l (5 μg/l) gesenkt werden.
- Zudem fordert die Trinkwasserverordnung, dass vorhandene Bleileitungen bis spätestens zum 12. Januar 2026 entfernt oder stillgelegt werden müssen.
Bauordnungsrecht / Bauproduktrecht
- Auf Bundesebene bildet die Musterbauordnung (MBO) die Basis für die Landesbauordnungen.
- Nach § 3 MBO (Allgemeine Anforderungen) müssen bauliche Anlagen so errichtet und unterhalten werden, dass insbesondere Leben und Gesundheit nicht gefährdet werden.
- § 13 MBO regelt den Schutz gegen schädliche Einflüsse: Chemische Einflüsse wie toxische Baustoffe dürfen keine Gefahren oder unzumutbaren Belästigungen verursachen.
- Technische Baubestimmungen zur MBO (z. B. Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen, MVV TB) konkretisieren solche Anforderungen weiter.
Diese bauordnungsrechtlichen Vorgaben bedeuten: Bauprodukte (dazu zählen Rohre, Legierungen etc.) müssen so beschaffen sein, dass sie keine gesundheitsgefährdenden Einflüsse haben.
5. Urteil des Landgerichts Lübeck (1. Juli 2025, Az. 2 O 231/23)
5.1 Sachverhalt
- Ein Mann verkaufte eine Immobilie mit 36 vermieteten Wohneinheiten in Lübeck.
- Die Trinkwasserleitungen der Immobilie bestanden aus Blei, doch der Verkäufer informierte die Käuferin darüber nicht.
- Nach dem Kauf ließ die Käuferin Laboranalysen der Wasserqualität durchführen, in mehreren Wohnungen lag der Bleigehalt des Wassers über dem gesetzlichen Grenzwert.
- Die Käuferin forderte daher Schadensersatz: Erstattung entgangener Mieten (wegen Mietminderungen) und Kosten für Sanierung (über 200.000 Euro) zur Entfernung der Bleirohre.
- Der Verkäufer bestritt: Er habe nicht von den Bleileitungen oder den erhöhten Bleiwerten gewusst. Er argumentierte, das Blei stamme möglicherweise aus den Versorgungsleitungen des Wasserversorgers
5.2 Entscheidung des Gerichts und Begründung
- Das Landgericht Lübeck sprach der Käuferin ihre Rechte zu: Es stellte fest, dass Bleirohre einen Sachmangel darstellen, über den der Verkäufer ungefragt aufklären musste.
- Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Verkäufer sowohl von den Bleileitungen als auch den überschrittenen Grenzwerten wusste, und dieses Wissen bewusst verschwiegen hat.
- Als Belege führte das Gericht mehrere Zeugenaussagen an, die den widersprüchlichen Angaben des Verkäufers widersprachen.
- Folglich verurteilte das Gericht den Verkäufer zur Zahlung von Schadensersatz, sowohl für Mietausfälle als auch für die zukünftigen Sanierungskosten.
- Das Urteil ist (Stand der Berichte) noch nicht rechtskräftig.
6. Kritische Analyse des Urteils
6.1 Kritik an der Beweisführung
- Ein zentrales Problem: Die Kenntnis des Verkäufers über die Bleileitungen wurde erst über Zeugenbeweis etabliert. Das heißt, es gab keine schriftliche Dokumentation, kein Gutachten vor dem Verkauf, kein Protokoll, das ihn verbindlich zur Kenntnis verpflichtet hätte.
- Aus Sicht der Käuferin ist es kritisch, dass erst externe Zeugen das verschwiegene Wissen aufgedeckt haben, was die Frage aufwirft, ob den Verkäufer nicht schon eine Sorgfaltspflicht getroffen haben könnte, sein Gebäude auf solche Risiken hin zu prüfen und potenzielle Kaufinteressenten zu informieren, unabhängig von einem Zeugen.
6.2 Argument für Wissen und Haftung: Fürsorgepflicht für das Eigentum
- Man kann argumentieren, dass der Verkäufer als Eigentümer eine übergeordnete Fürsorgepflicht hat, gerade im Hinblick auf toxische Baumaterialien: Er müsste sein Eigentum so instandhalten und überwachen, dass keine gesundheitlichen Gefahren bestehen, etwa durch Blei im Trinkwasser.
- Diese Pflicht ergibt sich auch aus dem Bauordnungsrecht: Nach § 3 MBO muss ein Gebäude so instand gehalten werden, dass Leben und Gesundheit nicht gefährdet werden.
- Ebenso verlangt § 13 MBO, dass chemische Einflüsse (z. B. Blei, Asbest oder Lindan) keine Gefahren oder unzumutbaren Belästigungen verursachen dürfen.
- Folglich könnte man sagen: Die Kenntnis vom Blei ergibt sich nicht nur retrospektiv durch Zeugen, sondern abstrakt aus der Pflicht, ein Gebäude gefahrlos zu unterhalten. Damit haftet der Verkäufer nicht nur, weil er es verschwiegen hat, sondern schon, weil er es hätte wissen oder zumindest prüfen müssen.
6.3 Parallelen zum Bauordnungsrecht
- Die MBO fordert nicht nur die Verhinderung akuter Gefahren, sondern eine dauerhafte Gesundheitssicherung von Nutzern.
- Die technische Normung (z. B. über die MVV TB) verlangt Bauprodukte, die keine gesundheitsgefährdenden Stoffe abgeben dürfen.
- Somit decken die gesetzlichen Regelungen selbst solche Themen ab, auch wenn es nicht explizit um Blei geht: Der generelle Schutz vor chemischen Einflüssen ist vorgesehen, und es ist Teil der öffentlichen Sicherheitspflicht von Bauherren und Eigentümern.
7. Schlussbetrachtung: Typizität des Urteils und Bedeutung für andere Schadstoffe
- Das Urteil des LG Lübeck ist typisch in dem Sinne, dass es einen klassischen Sachmangel, toxische Rohrleitungen, mit arglistiger Täuschung verbindet und den Verkäufer zu Schadensersatz verurteilt.
- Es wirft die Frage auf: Gilt dieser Fall auch für andere Gebäudeschadstoffe? Ja, durchaus. Wenn ein Gebäude z. B. Asbest, PCB, Formaldehyd, Lindan oder andere gefährliche Stoffe enthält, die der Verkäufer nicht offenbart hat, könnten ähnliche Argumente greifen:
- Sorgfaltspflicht des Verkäufers zur Untersuchung seines Eigentums auf Schadstoffe (analog zu Blei)
- Aufklärungspflicht gegenüber Kaufinteressenten über solche Mängel
- Haftung, falls durch die Schadstoffe Gesundheits- oder Nutzungsprobleme entstehen (Mietminderungen, Sanierungskosten etc.)
- Besonders relevant sind solche Fälle, weil auch viele andere Schadstoffe, etwa in alten Fertighäusern, häufig historisch in Gebäuden verbaut wurden.
Fazit
Blei in Gebäuden ist mehr als ein Relikt alter Technik: Es ist ein ernstzunehmender Gebäudeschadstoff mit gravierenden gesundheitlichen Folgen. Das Urteil des Landgerichts Lübeck zeigt, dass Verkäufer nicht einfach über Bleileitungen schweigen können, zumindest dann nicht, wenn Zeugen das Wissen belegen können. Aber: Die Pflicht, solche Risiken zu kennen, ergibt sich auch schon aus der allgemeinen bauordnungsrechtlichen Fürsorge, nicht nur aus dem speziellen Fallbeweis. Und diese Logik lässt sich auf viele andere Schadstoffe übertragen, was die Bedeutung des Urteils über den Einzelfall hinaus erhöht.
Wie kann man sich als Kaufinteressent künftig besser absichern?
1. Vorvertragliche Maßnahmen
Technische Due Diligence verpflichtend einfordern
Käufer sollten, gerade bei Altbauten oder Fertighäusern mit möglicher Schadstoffbelastung, den Verkäufer verbindlich zur Duldung folgender Prüfungen verpflichten:
- Trinkwasseranalyse auf Blei
- Bauforensische Untersuchung (Asbest, PAK, PCB, PCP, Chloranisole)
- Überprüfung der Haustechnik (Leitungsalter, Material)
- Einsicht in historische Bauunterlagen (Bauakten, Sanierungsrechnungen)
Diese Prüfungen sollten vor Vertragsabschluss erfolgen und vertraglich dokumentiert werden.
2. Beweisfragen: wie Käufer sich absichern können
Das Urteil des LG Lübeck zeigt: Ohne Zeugenbeweis wäre die Arglist schwer nachweisbar gewesen. Käufer von älteren Immobilien, insbesondere schadstoffbelasteten Fertighäusern oder Altbauten mit Bleileitungen, sollten daher mögliche Beweisquellen frühzeitig sichern. Dazu gehören:
- Frühzeitig Gutachten veranlassen, insbesondere zu Blei im Trinkwasser, aber auch zu weiteren Gebäudeschadstoffen wie Asbest, Chloranisole, Formaldehyd oder Lindan. (Ich sage Ihnen, bei wem.)
- Schriftliche Verkäuferauskünfte einfordern, gezielt zu Schadstoffen und Geruchsbelastungen. (Ich formuliere für Sie die passenden Fragen.)
- Gewährleistungsausschlüsse überarbeiten lassen, um sich rechtlich abzusichern, falls Mängel nachträglich auftreten. (Ich verfasse diese Klauseln rechtssicher für Sie.)
- Kommunikation mit dem Verkäufer dokumentieren, idealerweise schriftlich und nachvollziehbar.
- Begehungen mit Zeugen durchführen, insbesondere bei auffälligen Gerüchen im Fertighaus oder Hinweisen auf kontaminierte Materialien.
- Ein Sanierungskonzept und Kostenplan erstellen, mit Unterstützung erfahrener Sachverständiger.
Das Urteil zeigt eindrucksvoll: Wer sich bei Schadstoffen auf bloße Zusicherungen des Verkäufers verlässt, trägt ein enormes Risiko und gerät schnell in Beweisnot. Durch eine proaktive Vertragsgestaltung, klare Prüfpflichten und konsequente Dokumentation lässt sich dieses Risiko aber weitgehend eindämmen.
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